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Eine Region erfindet sich neu

Wiederbelebung am Arlberg

Bergdörfer leiden weltweit an Aussterberitis, weil die junge Generation das Weite sucht, während die ältere Generation zurückbleibt. Nicht so in den kleinen Walser Dörfern Warth und Schröcken zwischen Bregenzerwald und Arlberg. Hier findet gerade die kreative Wiederbelebung statt.

Monika Neiheisser
Von Monika Neiheisser

Erste Boutique-Destination in den Alpen

Seit dem Zusammenschluss der Skigebiete Warth-Schröcken mit Lech Zürs und St. Anton erwachen die beiden Alpenorte, die zusammen 400 Einwohner zählen, aus dem Dornröschenschlaf und zeigen sich gleichermaßen bodenständig wie kreativ. Die erste Boutique-Destination der Alpen ist geboren, deren Angebot hochwertig und ausgewählt ist und ein ganz neues Winterfeeling, auch abseits der Piste, vermittelt.

Ulrike liebt es, Urlaubsgäste auf Schneeschuhen durch die einsame Natur rund um den Körbersee zu führen, denn sie ist nicht nur die Hotelchefin, sondern auch begeisterte Winterwanderführerin. Der 20-jährige Jan testet den Funfaktor dieser Trendsportart, die wohl schon für die Menschen in der Jungsteinzeit vor knapp sechstausend Jahren eine praktische Fortbewegungsart war.

Breitbeinig stapfen Jan und Guide Ulrike laut knirschend durch den frischen Schnee am Hochtannbergpass. Die frischen Käsfladen im Berghotel Körbersee locken am Ziel, das einsam und tief verschneit abseits des Skigebietes Warth-Schröcken liegt. Dabei fällt der Blick auf den markanten Biberkopf, den südlichsten Berg des Allgäus, und auf die 2.649 m hohe Braunarlspitze, den höchsten Berg des Bregenzerwaldes. Die Juppenspitze ruht im Kopfstand im halb verschneiten Kalbelesee, doch der Herzschlag von Jan ist weit vom Ruhepuls entfernt. Im Duckstep, der ein Grätenmuster im Schnee hinterlässt, steigt er steil bergauf. Auf 1.650 m Höhe lässt die Kondition grüßen.

Ulrike deutet auf das Tarnzelt, das zwischen hohen Fichten lugt: „Hier werden die Birkhühner beobachtet, die seit kurzer Zeit wieder angesiedelt sind.“ Nebelschwaden ummanteln Bäume und das einzige Holzhaus weit und breit. Das Kleinod wird zum Abenteuer-Terrain und Jan freut sich, Ulrike als einheimischen Guide an seiner Seite zu haben. Sie schwelgt sichtlich in Erinnerungen, während sie erzählt, wie sie als Jugendliche die Strecke unzählige Male nachts im Dunkeln gegangen ist – nach dem Feiern in Warth. Die Vierzigjährige ist im Hotel unmittelbar am Körbersee aufgewachsen. Vom Großvater erbaut, in der Voraussicht, dass dort eine Verbindungsstraße nach Lech gebaut wird. Ein Projekt, das nie realisiert wurde. Heute ist die Ecke ein Kleinod, wo das einzige Nachbarhaus 300 Meter entfernt liegt, ein Ferienhaus, das als Straßenwärterhaus geplant war.

Mit der Materialseilbahn zur Schule

Schleichend hat sich die Übergabe des Hotels von Fritz und Marianne Schlierenzauer an Tochter Ulrike vollzogen. Doch an diesem Tag genießt sie mit Jan die Käsfladen, die Mutter Marianne zubereitet hat, ein Mürbteig mit flaumiger Käse-Zwiebelschicht, die Spezialität des Hauses. Sohn Raphael schwärmt während des Essens von seinem täglichen Schulweg: Mit der Materialseilbahn geht’s hinab ins Tal und am Mittag schwebt auch mal ein Spielkamerad mit nach oben. Auch das Gepäck von Mark van Landeghem schwebte mehr als vierzig Jahre hinauf in das idyllische Hotel. Er war einer der vielen Stammgäste dort, bis er in Belgien die Reißleine zog und übersiedelte. Heute jagt er mit seinen Schlittenhunden über die Winterwanderwege am Salober. Allesamt „schwierige“ Huskys von Tierheimen aus ganz Europa.

Der Hundeflüsterer gibt ihnen ein zweites Leben und Gäste können erste Musher-Erfahrungen unter seiner Anleitung sammeln. Dieses Abenteuer lockt Jan und schon steht er am nächsten Tag auf den Kufen des Schlittens, auf dem er rasant durch die weiße Pracht saust – mit einem Kribbeln im Bauch. Dabei ist Entspannung das Zauberwort für ein harmonisches Miteinander zwischen Mensch und Tier, denn die sensiblen Dickfeller spüren die Aufregung des Menschen. Das Spiel mit der Gewichtsverlagerung, richtige Handhabung der Bremsen und Bodenverankerung beim Stopp wollen geübt sein. Was anfangs furchteinflößend ist, entpuppt sich als spaßiges Erlebnis mit Nervenkitzel in jeder Kurve, denn hier ist die Kippgefahr des Schlittens besonders hoch, die größte Herausforderung für Jan.

Zur Entspannung stapft er bei Sonnenuntergang auf den Simmel, einen kleinen Berg am Hochtannbergpass, dessen Gipfel eines der wenigen Weltfriedenskreuze schmückt. Dort genießt er die Stille und das Farbspiel der Sonne, die die verschneite Landschaft Vorarlbergs in ein Goldfass taucht.

Wiederbelebung des alten Sennhauses

Nach so viel Aktivität genießt der junge Sportler handgeschabte Kässpätzle im neu eröffneten Restaurant „Altes Sennhaus“ in Warth. Die Familie Sojer, Betreiber der Lechtaler Naturkäserei im nahe gelegenen Steeg, hat dem alten Sennereigebäude neues Leben eingehaucht. Fast 20 Jahre war das Haus aus dem 17. Jahrhundert geschlossen. Heute zeigt es nach seiner detailverliebten Renovierung durch die Sennerfamilie wie kein anderes Gebäude die Entwicklung in Warth von der Landwirtschaft zum Tourismus. Zentrum des Lokals ist ein schwarz lackierter Käsekessel, auf dem hausgemachte Milchprodukte und regionale Köstlichkeiten feilgeboten werden. Die junge Generation, Fabian und Madeleine Sojer mit Partner Pascal, schmeißt das Restaurant und den kleinen Verkaufsraum mit Herzblut und Herzklopfen seit dem letzten Winter. Doch Madeleine strahlt: „Der größte Antrieb ist es, hier in einem Familienbetrieb zu arbeiten, wo alle zusammenhelfen.“ Und während sie sich um das Wohl der Gäste kümmert, versorgt Mama Daniela die beiden zwei- und fünfjährigen Kinder und Papa Kurt steht am Käsekessel, der die Milch der Kleinbauern rund um Steeg verarbeitet.

Vom Skirennläufer zum Bio-Bauer

Auch vier Milchbauern aus Warth liefern jeden Morgen bei Kurt Sojer ihre Milch ab. Einer von ihnen ist Olympiasieger Hubert Strolz. Er bewirtschaftet den Hof, der seit Generationen in seiner Familie weitergegeben wird. Der ehemalige Skirennläufer, der 34 Mal auf dem Podest stand, beginnt jeden Morgen kurz nach 5 Uhr seinen Tag mit dem Füttern und Melken seiner 10 Kühe. Erst das Karohemd, dann die Skistiefel. Den Rest des Tages verbringt er auf oder neben der Piste als Skilehrer und Skiführer mit den Gästen. Danach ruft wieder der Stall. Um 19 Uhr ist Feierabend. Ein langer Arbeitstag, doch Hubert strahlt zufrieden: „Ich bin an einem gesegneten Platz, wo ich sozialen Frieden und Arbeit habe. Ich bin im Paradies zu Hause.“ Dem weit gereisten Olympioniken ist es wichtig, das zukunftsträchtig weiterzuführen, was Generationen vor ihm aufgebaut haben. Sohn Johannes steht als aktiver Skirennläufer in den Skistapfen des Vaters. Ob er den Bio-Hof mal übernehmen wird? Der 59-Jährige lacht: „Wenn er will.“

Zur Region: www.warth-schroecken.com

Husky-Touren: www.huskytouren.at

Schneeschuhtouren: geführte Touren 2 x wöchentlich: www.warth-schroecken.at

Schneeschuh-Verleih: www.sport-jug.at

Berghotel Körbersee: www.koerbersee.at

Restaurant Altes Sennhaus: www.kaesereisojer.at